Montag, 27. Februar 2012

Die Chirurgie

Seit zwei Wochen bin ich jetzt in der Abteilung für Chirurgie. Das ist wesentlich entspannter als die Zeit in der Notaufnahme und ich bin mit den einheimischen Studenten des letzten Jahres in einen Wochenplan eingeteilt. Unsere Hauptaufgabe ist es, Patienten, die zu einer Operation kommen, aufzunehmen, entsprechende Untersuchungen durchzuführen oder anzuordnen und dann dem Oberarzt die Patienten zu präsentieren. Und bei der Operation „unserer Patienten“ assistieren wir im OP. Die einheimischen Studenten müssen sich zusätzlich in einen Bereitschaftsplan eintragen und dann ein bis zwei Mal in der Woche bis abends bleiben und bei anstehenden Aufgaben auf der Station oder im OP aushelfen. Ich bin da etwas außen vor; von ausländischen elective students erwartet das die Chefin der Chirurgie nicht. Ich darf natürlich kommen, aber ich soll auch schauen, dass ich viel von Kapstadt und Umgebung sehe. Sehr nett.. Nächste Woche haben die anderen Studenten Prüfungen und daher werde ich ein paar Bereitschaften übernehmen und versuchen, einen guten Eindruck zu hinterlassen, so dass ich guten Gewissens ein bisschen frei nehmen kann, wenn mein Johannes kommt.
Zwischendurch sind unter der Woche immer wieder Kurse für uns Studenten. Und auch bei der Präsentation der von uns aufgenommen Patienten wird von den Oberärzten Lehre gemacht. Dabei werden wir dann zu den Krankheitsbildern und sonstigen chirurgischen Problemen befragt. Das ist durch die Praxisnähe richtig gut und einprägsam und motiviert mich, auch mal zu Hause was nachzulesen. Freitags finden Chirurgie-Vorlesungen und Seminare im Universitätsklinikum statt, wo ich auch teilnehmen darf und was ich je nach Lust und Laune auch tue.
Die chirurgische Station ist ein Flur mit hauptsächlich 6er-Zimmern, einem Zimmer für die Pflege und einem für die Ärzte, also ähnlich wie in Deutschland. Leider ist auch hier Sauberkeit und Hygiene ein großes Problem (von der Ordnung fang ich jetzt lieber gar nicht an): zu wenige Mülleimer und Abwürfe für Nadeln und nur wenig Desinfektionsmittel! Die Betten werden nur minimal gesäubert und ich bin die ganze Zeit vorsichtig, was ich anfasse – da weiß man nie! Aber besonders schlimm finde ich, dass oftmals das Pflegepersonal keine Lust hat zu arbeiten und dann Patienten stundenlang in ihrem eigenen Kot liegen oder keine, bzw. keine neuen Verbände bekommen. Da bleibt oft nichts anderes übrig als selber machen.
Einem deutschen Chirurgen würden auch die Ohren schlackern, wenn er sähe, wie es hier im OP zugeht. Das fängt dabei an, dass Masken vor Mund und Nase nur von den Chirurgien getragen werden (und auch das oft nicht richtig), dann darf jeder seinen private Tasche mit in den OP bringen, eine Abtrennung zu den unsterilen Anästhesisten besteht nicht, der Patient wird vor der OP nur kurz mal mit einem normalen Händedesinfektionsmittel abgerieben, wenn eine Drainage zu Boden fällt wird die aus Kostengründen trotzdem in den Patienten eingebaut und wenn man heißes Wasser zum Ausspülen braucht, dann kocht das jemand mit dem Teekocher im Aufenthaltsraum. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich an meinem ersten Tag gestaunt habe! Einer der Ärzte hat mir erzählt, dass er während eines Praktikums in Berlin von den deutschen Kollegen während einer OP sechs mal zum wieder steril machen geschickt wurde. Ich habe ihm beim Operieren zugesehen und mich darüber nicht gewundert… Ich bestehe darauf, einen Augenschutz zu tragen und nicht mit den Händen sondern nur mit Instrumenten zu assistieren. Ein Arzt, der mir dann zugestimmt hat, dass er selber viel zu viel mit den Fingern macht, hat sich dann auch prompt an einer Nadel gestochen. Ich finde es auch nicht beruhigend, wenn mir alle erzählen, dass sie regelmäßig Stichverletzungen haben und immer noch kein HIV. Irgendwie scheint der Lerneffekt bei Vielen auszubleiben.
Die Buchung der Patienten für den OP sorgt regelmäßig für Verwirrung. Letzte Woche mussten wir fast die Hälfte der Patienten wieder heimschicken, weil ein Buchungsfehler vorlag. Es existieren zwei Organisationssysteme, nämlich ein neues Computerprogramm mit Terminkalender und das alte Buch, in das die Termine von Hand eingetragen werden. Es kommt zu Terminüberlappungen und Doppelbuchungen, weil die Schwestern, die für die Terminvergabe zuständig sind, beide durcheinander benutzen, zum Beispiel, weil nicht alle mit dem Programm umgehen können oder der Computer nicht immer funktioniert oder niemand den Kalender aufeinander abstimmt. Und der Weg zum Chaos ist perfekt!
Aber die Stimmung im OP ist locker und nett und alle sind freundlich zu einem kleinen Medizinstudenten, der von der großen Welt keine Ahnung hat. Ich bin gerne im OP. Das Operieren macht mir viel Spaß, es ist sehr befriedigend, die Zeit vergeht meist wie im Fluge und das Beste: ich bin wider Erwarten noch gar nicht umgekippt!
Sehr angenehm empfinde ich, dass viele der Chirurgen Frauen sind. Außerdem kommt die Chefärztin der Chirurgie aus Simbabwe, ein Oberarzt aus Polen (der mag uns deutsche Studenten besonders gerne) und eine der Assistenzärztinnen, die ungelogen fast einen Kopf kleiner ist als ich und zierlich wie ein Kind, hat einen indischem Einschlag. Man fällt als Deutsche unter den Ärzten also gar nicht so als „Ausländer“ auf, denn das sind hier so viele.

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