Mittwoch, 21. Dezember 2011

Erste Eindrücke aus dem Krankenhaus – die Notaufnahme

Jetzt hab ich mittlerweile zwei Tage als elective medical student im Krankenhaus verbracht. Die Notaufnahme, in der ich eingeteilt bin, ist ein riesiger Raum mit 15 Patientenbetten, die bei Bedarf mit Vorhängen voneinander abgeschirmt werden. Dann sind an diesen Raum noch weitere Zimmer angeschlossen: zwei separate kleine Zimmer für gynäkologische Patienten, die mehr Privatsphäre bei den Untersuchungen brauchen, ein abschließbarer Raum mit Guckfenster für randalierende und bestimmte psychiatrische Patienten und ein Raum für die ganz schlimmen Notfälle, wie Polytrauma und Reanimation. Im Flur findet man dann noch ein Zimmer mit 4 Plätzen für Kindernotfälle.
Ich musste mich erstmal an den Anblick dieser Notaufnahme gewöhnen. Die Patienten liegen auf Rollpritschen oder sitzen, wenn diese alle belegt sind, auf Stühlen in verschiedenen Nischen rum, es gibt kaum Privatsphäre, die Patienten sind meistens verwahrlost und stinken, nur ein kleiner Teil kommt aus reicheren Verhältnissen. Viele der Patienten kommen nach Prügeleien, mit Messerstich- oder Kugelschussverletzungen. Die meisten sind HIV-positiv, es gibt viele Patienten mit Tuberkulose und 17jährige Patientinnen erwarten ihr viertes Kind. Aber es gibt auch die typischen Notfälle, die ich aus Deutschland kenne, wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und entgleister Blutzucker bei Diabetes. Ein bunt gemischtes Bild also.
Die medizinische Ausrüstung befindet sich in 2 Schränken je auf einer Seite des Zimmers und oft fehlt etwas. Im Improvisieren kann man hier wirklich viel lernen: wenn es keine Halskrause für Verunglückte gibt, wird der Kopf eben mit Tape ans Bett gebunden. Was mich wirklich stört sind die fehlenden Mülleimer, es gibt einfach zu wenige und wenn sich einer der Patienten übergeben muss, dann gibt es plötzlich nur noch einen Mülleimer für die Notaufnahme.
Ich bin beeindruckt, was die Ärzte hier leisten. Es gibt nur ca. 3 Ärzte pro Schicht für diese vielen Notfallpatienten. Aber die Arbeitsweise ist natürlich ganz anders als in Deutschland. Alle medizinischen und pflegerische Maßnahmen werden auf das Wesentliche beschränkt und das geht ruckzuck. Die Ärzte machen Prozeduren, die bei uns im OP stattfinden, innerhalb von Minuten und mit minimalen Mitteln und wenn ich nicht alles für mich nötige Material finden kann, dann gibt es immer einen Trick, wie das auch ohne geht…
Im Moment sind wir vier Studenten, eine Engländerin, zwei Australier und ich. Die haben natürlich den Sprachvorteil und auch nicht mit tausend unbekannten Abkürzungen und Symbolen zu kämpfen, mit denen hier Dokumentation betrieben wird. Ansonsten können die ungefähr soviel wie ich.
Es ist toll für mich, dass die Lehre dort sehr wichtig genommen wird. Man erwartet zwar, dass ich mithelfe, aber ich bekomme alles gut und in Ruhe erklärt. Jetzt in der ersten Woche bin ich unter der „supervision“ von einem der Oberärzte. Und ich merke, man will testen, ob ich durchhalte und ob ich mal nützlich werden könnte.
Heute hatte ich meinen ersten eigenen Patienten. Ein Mann, der von einer 2m hohen Leiter gefallen ist. Ich habe ihn aufgenommen, untersucht und die Diagnostik angeordnet. Dann habe ich den Fall einer Ärztin vorgestellt und mit ihr besprochen. Da lernt man also richtig viel.
Wichtig sind auch viele praktische Dinge zu lernen; von Studenten wird erwartet, dass sie die Blutabnahmen und Zugänge machen, Lumbalpunktionen und Drainagen in Bauch in Lunge legen können. Heute habe ich Pleuradrainagen legen gelernt: Halbsteril, mit einfachen Mitteln und sehr effizient. Wenn das die Intensivstation in Tübingen sehen würde, die dafür immer erst einen Chirurgen rufen müssen…
Ich bin jedenfalls sehr glücklich, dass ich hier so viel lernen kann. Die hygienischen Bedingungen sind ganz passabel. Ich achte auf meine persönliche Hygiene und die Ärzte dort ermutigen uns Studenten, dass wir vorsichtig sind, immer Handschuhe tragen und mir wurden sogar die wirklich selten verfügbaren Scrubs vom Oberarzt persönlich und gegen den Widerstand der Oberschwester besorgt.
Auch wenn ich das Chaos noch nicht ganz durchblicke und ich manchmal auch vom Elend erschreckt bin, hab ich das Gefühl, dass es mir wahnsinnig viel Spaß machen wird, dort zu sein. Das wird eine unglaubliche gute Erfahrung werden…

Auf dem Bild seht ihr links die wunderschöne historische Krankenhausfront, die unter Denkmalschutz steht, auch der rechten Seite das Personalwohnheim, aus dem wir geflüchtet sind.
Posted by Picasa

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