Mittwoch, 21. März 2012

Township Langa

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Nach einigem Abwägen habe ich heute zusammen mit Sabrina an einer Townshiptour teilgenommen. Ich war mir lange nicht sicher, ob ich das wirklich tun sollte. Auf der einen Seite bringt man dadurch Geld mit in die Viertel und lernt ein bisschen etwas über eine ganz andere Seite Kapstadts, aber für mich haftete ein unangenehmer Beigeschmack an diesen Touren. Meine Befürchtung war, dass man dort als Eindrinling unwillkommen ist und sich die Menschen wie Tiere im Zoo fühlen würden. Diese Befürchtung bestätigte sich aber nicht. Zumindest die Familien, mit denen wir gesprochen haben, waren alle sehr freundlich und schienen sich über das Interesse zu freuen.
Morgens wurden wir und fünf andere Teilnehmer (alles deutsche Studentinnen) direkt an unseren Wohnungen abgeholt. Zunächst fuhren wir das Gebiet des District 6 an, also einem Viertel aus dem viele Menschen im letzten Jahrhundert in Townships und sogenannte „homelands“ vertrieben wurden. Damals wurde nach und nach das gesamte Viertel (bis auf die Häuser der Weißen) plattgemacht; nur die Kirchen, Moscheen und andere religiöse Gebäude blieben verschont. Jetzt mutet das Gebiet seltsam an. Die Kirchen stehen auf weitem Feld und nach und nach werden Gebäude wiederaufgebaut und von neuen und ehemaligen Bewohnern wiederbezogen. Heute wird District 6 zum Vorbild für Südafrika aufgeführt, da hier die ehemaligen Bewohner mit verschiedensten ethnischen und religiösen Hintergründen zusammenleben.
Danach ging es ins Townhip Langa, dem ältesten schwarzen Township Kapstadts, in dem auch unser Führer lebt. Uns wurden nochmals die wichtigsten Verhaltensregeln erklärt: immer freundlich sein, fragen bevor man Menschen fotografiert, die Kinder fotografieren (sonst sind sie beleidigt; sie lieben es nämlich zu posen), kein Geld oder Süßigkeiten geben (sonst lernen die Kinder, dass sie bei den Touristen mehr abkriegen und gehen nicht mehr zur Schule) und am Wichtigsten ist, immer schön freundlich und höflich zu sein. Die wichtigsten Wörter wie Hallo und Danke lernten wir noch schnell auf Xhosa, denn das ist hier die meistgesprochene Sprache.
Und dann ging die Tür auf und wir standen erstmal ziemlich unsicher auf der Straße und wurden von den Einheimischen neugierig beobachtet. Die Häuser hier waren gelbe Reihenhäuser aus Stein (Bild 1) und hier wohnen die Familien in Wohnungen mit 3 oder 4 Zimmern (inklusive Küche und Bad) mit Wasser und Strom und dem obligatorischen Fernseher. Wer hier wohnt, gehört zu den Wohlhabenderen des Townships. Ein zweiter Führer holte uns ab und wir besuchten zunächst eine dieser Wohnungen und wir durften der Familie ein paar Fragen stellen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch sehr zurückhaltend und ich musste mich überwinden, einfach Fragen zu stellen, weil sonst niemand etwas gesagt hätte und betretene Stille geherrscht hätte. Die 15-jährige Tochter erzählte etwas schüchtern von ihrer Schule, die Mutter, die im Nebenzimmer Wäsche machte, schien sich an den Besuchern in ihrem Wohnzimmer nicht zu stören und war das wohl schon gewohnt und lächelte uns aufmunternd zu.
Dann ging es in ein sogenanntes family hostel. Das sind kleine Häuser, in denen es einen Gemeinschaftsraum mit Kühlschrank und Tisch gibt und dann noch mehrere Räume. Eine Familie teilt sich einen dieser Räume von vielleicht 5 Quadratmetern. Es passen ganz knapp zwei Betten rein (Bild 2). Über und unter den Betten sind die Habseligkeiten der Familie verstaut und wer nicht mit ins Bett passt, schläft auf dem Stückchen Boden dazwischen. Die Frauen, die auf den Betten saßen, empfingen uns freundlich, In diesem Raum ging mir so richtig auf, was für ein leichtes Spiel die Tuberkulose hat, sich schnell in der gesamten Familie zu verbreiten.
Im Gemeinschaftsraum saßen die Männer und beäugten uns weiße Mädels etwas herablassend und sprachen kein Wort. Dann kam ein Mann, der seine Hand und die Finger in einem ultraschicken Schlingenverband trug und der offensichtlich Schwierigkeiten hatte, ihn richtig anzulegen. Ich habe ihm geholfen und kam dann doch noch kurz mit den Männern ins Gespräch, die mir von seinem Arbeitsunfall erzählten. Leider war nicht zu erfahren, woher er seinen Verband hatte, denn den hätte ich in der BG Unfallklinik in Tübingen erwartet und ich bin mir ziemlich sicher, dass im New Summerset Hospital so etwas auch nicht zu finden ist.
Beim Rundgang durch das Viertel kamen wir dann an einer kleinen Gospelkirche in einer Wellblechhütte vorbei, wo eine Art Bibelschule für Kinder stattfand. Das ganze natürlich auf Xhosa, aber wir saßen dort für ein paar Minuten und als wir gehen wollten, bedankte sich die Lehrerin sogar bei uns, dass wir zugehört haben. (Bilder 4 und 5). Auf dem Weg zum nächsten Stopp gingen wir durch eine Gegend, die von den Einheimischen Beverly Hills genannt wird (Bild 3). Hier stehen hübsche Einfamilienhäuser mit Garten und Garage, die den Reichen des Viertels gehören. Viele von ihnen möchten aus ihrer „Community“ nicht weg, denn das Gemeinschaftsleben spielt eine wichtige Rolle. Und so wird Langa immer mehr von arm und reich durchmischt. Eigentlich schön, aber auch seltsam, Wellblechhütten und Einfamilienhäuser in direkter Nachbarschaft zu sehen.
Da Sonntag war, hatten wir das Glück, einen richtigen Gospelgottesdienst zu besuchen. Der fand in einer riesigen Halle statt, die mit Plastikstuhlreihen bestuhlt war und vorne eine große Bühne für die Vorsängerinnen und die Band hatte, an den Wänden hingen die Flaggen von verschiedenen Ländern, auch Deutschland (ein Überbleibsel der WM) und die Besucher waren alle schicker gekleidet als wir. Mit einem Beamer wurden die Texte auf Leinwände projiziert und eine Kamera nahm den Gottesdienst und die Besucher auf und manchmal konnte man auch die Gemeinde auf der Kamera sehen. Und der Gottesdienst war eine einzige Feier. Niemand saß auf den Stühlen, alle tanzten und sangen und die Musik war mitreißend und ein Lied folgte dem nächsten. Das persönliche Gebet war auch nicht still, sondern alle beteten gleichzeitig und laut und inbrünstig und dann wurde so lange mit dem nächsten Lied gewartet bis alle fertig waren. Ich genoss die wunderbare Musik und die tollen Stimmen, dennoch fühlte ich mich inmitten diesem Trubel nicht komplett wohl. Mir mangelt es dafür am Glauben und es war deutlich anzumerken, dass die Besucher aus voller Überzeugung sangen. Besonders gefallen hat mir, dass ein Lied mit dem Text „der Herr ist heilig“ zuerst auf Afrikaans, dann auf Englisch und anschließend auf Xhosa gesungen wurde.
Dem bewegenden Gottesdienst folgte dann ein Marsch durch eine Wohngegend der Ärmsten. Hier stehen einfachste Wellblechhütten, ohne Strom und Wasser. Es gibt eine Reihe von Plumpsklohäusern, die gemeinschaftlich genutzt werden und keinen allzu einladenden Eindruck machten (Bilder 6 und 7). Die kleinen Kinder rannten auf uns zu und wollten mit uns spielen. Die wussten schon, dass Touristen freundlich zu ihnen sind und zeigten uns schnell, wie sie am liebsten zwischen zwei Menschen genommen werden, um dann Anlauf zu nehmen und sich durch die Luft fliegen zu lassen. Das haben wir natürlich gerne gemacht, aber es war auch ein wenig traurig, dass sie uns gar nicht mehr loslassen wollten.
In einer der Hütten, die wie sich herausstellte ein „Pub“ (also Kneipe; Bilder 8 und 9) war, durften wir noch das traditionelle Bier testen. Innen war die kleine Hütte dunkel, an den Wänden standen kleine Holzbänke reihum für die Gäste und im hinteren Teil rührte eine Frau mit einem riesigen Holzstab in einer Plastiktonne. Es waren auch ein paar einheimische Männer da, die mit uns Mädels aus einer anderen Welt nichts gemeinsam hatten und wohl nur da waren, weil sie wussten, dass bei diesen Besuchen Bier für sie abfällt. Das war eine ziemlich skurile Situation. Die Pubs werden nur von Frauen betrieben und die brauen dann Bier in einfachen Plastiktonnen. Die hygienischen Umstände sind natürlich mehr als fraglich und mir war dann schon ein bisschen komisch als ich sah, wie sie den Gemeinschaftskrug in einem mit Wasser gefüllten Eimer durchschwenkte. Unser Führer erklärte die Trinkregeln. Das Geld für den Eimer Bier wird auf einen in der Mitte stehenden Stein gelegt. Die Wirtin stellt dann einen Krug Bier in die Mitte. Der außensitzende Älteste darf den Krug aufnehmen und den ersten Schluck trinken und dann wird reihum durchgereicht bis der Krug beim Jüngsten, der neben der Tür sitzt, angelangt ist und von ihm wieder abgestellt wird. Wer noch einen Schluck trinken möchte ruft jetzt auf Xhosa „noch eine Runde“ und dann wandert der Krug wieder los.
In diesem Moment wünschte ich, kein Medizinstudent zu sein, denn mit Blickdiagnose konnte ich sagen, was die Herren neben mir für medizinische Probleme hatten, die ich nicht unbedingt abkriegen wollte. Ich habe natürlich trotzdem getestet, der Krug wanderte erst zu mir und dann den Herren, und das Bier schmeckte gut, aber ziemlich sandig zwischen den Zähnen.
Zum Anschluss besuchten wir noch einen „Sangoma“, einen traditionellen Heiler, so eine Art Medizinmann (Bild 10). Auf den war ich besonders gespannt, denn im Krankenhaus habe ich schon viele Patienten gesehen, die von Sangomas „vorbehandelt“ waren und ich weiß, dass es durchaus üblich ist, sie wegen medizinischer und auch „seelischer“ Probleme zu konsultieren. Die Hütte des Sangoma war voll behängt mit Kräutern, Knochen, Fellen, Köpfen, Tatzen und sonstigen Tierbestandteilen, die ich mir lieber nicht so genau angeschaut habe. Innen war es dunkel und der Sangoma stellte sich für uns in Pose. Er versicherte uns, dass er Patienten mit echten medizinischen Problemen zum Arzt schicken würde, aber erzählte im nächsten Satz, wie er Tuberkulose und Diabetes mit Knochen und Schwüren heilt. Dann zeigte er uns noch seinen Liebestrank und seine selbstgemixte Medizin. Insgesamt übertraf dieser Besuch meine schlimmsten Befürchtungen, denn von Krankheiten schien der Mann kaum Ahnung zu haben und er machte auch den Eindruck, sich dafür gar nicht zu interessieren. Fragen beantwortete er gar nicht.
Direkt vor seiner Hütte kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, der an der Universität von Kapstadt Informatik studiert und der für den Heiler als Einkäufer arbeitet. Verrückt, wie altes und neues Denken in diesem Mann und wahrscheinlich in den meisten hier nebeneinander existieren. Ganz abgesehen, dass sie meistens zusätzlich noch Christen sind und an Liebestränke und Voodoo glauben.
Auf der Heimfahrt ging es noch am Busbahnhof und Fleischmarkt von Langa vorbei und durch ein anderes Township. Der Führer erklärte noch einiges über die Geschichte und die Probleme in den Townships. Alles konnte man ihm dabei aber nicht glauben, denn seinen Erzählungen nach existiert hier zum Beispiel keine Kriminalität. Seine absurde Begründung war, dass Verbrecher meistens erkannt werden, von der Community selber schlimme Strafen bis hin zum Tod zu erwarten haben und daher erst gar keine Verbrechen begehen.
Ich bin sehr froh, diese Tour gemacht zu haben. Im Krankenhaus sind genau diese Townships das Einzugsgebiet und ich merke, wie gut es mir tut, genauer zu wissen, woher die Patienten stammen. Ich habe viele der Probleme und auch der schönen Seiten dieser Townships, die ich im Krankenhaus nur erahnen kann, einmal aus nächster Nähe gesehen. Manche Dinge wurden dabei klarer, andere werfen umso mehr Fragen auf.
Es war ein intensives und eindrückliches Erlebnis.

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